Digitalisierung und Arbeit – eine Zwischenbilanz. Aktuelle Befunde der Digitalisierungsforschung aus dem SOFI

Aussteller: Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)

»Digitalisierung« dient als Catch-all-Bezeichnung, mit der alles »total Neue« der heutigen Arbeitsentwicklung assoziiert wird. In der Diskussion ist Digitalisierung oft mit einer Art Tunnelblick auf die Zukunft der Arbeit verbunden: »Digitale Technik« treibt die große Transformation der Arbeit an, mit »disruptiven« oder »inkrementellen«, in jedem Fall aber unvermeidlichen Folgen. Am Ende des Tunnels sehen wir nur noch das – lichte oder düstere – Bild der einen (nur noch) digitalen Zukunft der Arbeit.

Eine solche Einbahnstraßen- und Catch-all-Vorstellung von der einen Digitalisierung und ihrer gesellschafts- und arbeitstransformierenden Kraft ist – das zeigen die aktuellen Forschungsbefunde aus dem SOFI – erkenntnishemmend und unrealistisch. Sie wird den Triebkräften und Einflussfaktoren, den Ungleichzeitigkeiten und Unterschieden bei den Arbeitsfolgen nicht gerecht.

Die Befunde der SOFI-Digitalisierungsforschung machen deutlich, dass an die Stelle der Eindimensionalität des Tunnelblicks auf die Digitalisierung die Untersuchung von Digitalisierungen treten muss: differenziert nach Diskurswirkungen, unterschiedlichen Funktionen, Einsatzfeldern und Techniklinien, in Verbindung mit weiteren Tendenzen der Arbeits- und Organisationsentwicklung (etwa bei Geschäftsmodellen, Unternehmensstrategien, Finanzialisierung, Fragmentierung) und eingeordnet in die lange Geschichte informations- und kommunikationstechnischen Rationalisierung von Arbeit, als deren neueste Etappe.

Das Bild einer strukturierten Vielfalt, das dann entsteht, ist vor allem auch von Brancheneffekten geprägt, die zu den Ungleichheiten und Widersprüchen der gegenwärtigen Digitalisierungsentwicklung beitragen: vom Handel und den Finanzdienstleistungen über verschiedene Industriebranchen, Logistik und IT bis hin zum Krankenhaus und zur Verwaltung, vom Solo-Selbstständigen über kleine und mittlere Unternehmen bis zu Großkonzernen zeigen sich höchst unterschiedliche Digitalisierungen und Digitalisierungsfolgen. Neuere Forschungsbeiträge von Klaus-Peter Buss zur Entwicklung im Handel und von Knut Tullius über die Entwicklung bei den Finanzdienstleistungen verdeutlichen dies beispielhaft:

Digitalisierung im Einzelhandel (PDF): Und dabei zeigt sich: Die vermeintliche Unvermeidlichkeit ist keine. Auch die digitale Zukunft der Arbeit hängt ab vom Wechselspiel gesellschaftlicher Interessen und Kräfte, mit gestaltbarem Ausgang. Und es ist dabei wichtig, auf die Besonderheiten der Tätigkeits- und Berufsfelder zu achten, wie die Analysen von Martin Kuhlmann und Ulrich Voskamp zu differenzierten Digitalisierungswirkungen selbst innerhalb des Maschinenbaus und Volker Baethge-Kinsky zur Entwicklung der industriellen Facharbeit insgesamt zeigen: …

Digitalisierung und Facharbeit (PDF): Digitalisierungen bleiben im Arbeitswandel immer nur eine der Einflussgrößen – und nicht immer die wichtigste. Das gilt auch aus der Beschäftigtenperspektive: Die Risiken eines dramatischen Beschäftigungsabbaus oder einer massiven Ausweitung der Kontrolle sind präsent, die realen Digitalisierungserfahrungen prägen sie bei den meisten aber bisher wenig. Obwohl digitaler Technik von Beschäftigten häufig positive und arbeitserleichternde Eigenschaften zugesprochen werden, ist der Arbeitsalltag vielfach durch schlecht gestaltete, anfällige und wenig funktionale Technik geprägt. Geringe technik- und ablaufbezogene Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten sind weit verbreitet. Dies führt in vielen Betrieben zu vermehrtem Stress und Leistungsverdichtung. Digitalisierungen der Arbeit werden aus einem weiten sozialen Spannungsfeld heraus wahrgenommen, das von enorm gewachsenen technischen Möglichkeiten einerseits und selektiven, je spezifischen betrieblichen Anwendungen und Folgewirkungen andererseits geprägt ist.

Digitalisierung, Arbeit und Gesundheit (PDF)
Digitalisierungen bleiben im Arbeitswandel immer nur eine der Einflussgrößen – und nicht immer die wichtigste. Das gilt auch aus der Beschäftigtenperspektive: Die Risiken eines dramatischen Beschäftigungsabbaus oder einer massiven Ausweitung der Kontrolle sind präsent, die realen Digitalisierungserfahrungen prägen sie bei den meisten aber bisher wenig. Obwohl digitaler Technik von Beschäftigten häufig positive und arbeitserleichternde Eigenschaften zugesprochen werden, ist der Arbeitsalltag vielfach durch schlecht gestaltete, anfällige und wenig funktionale Technik geprägt. Geringe technik- und ablaufbezogene Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten sind weit verbreitet. Dies führt in vielen Betrieben zu vermehrtem Stress und Leistungsverdichtung. Digitalisierungen der Arbeit werden aus einem weiten sozialen Spannungsfeld heraus wahrgenommen, das von enorm gewachsenen technischen Möglichkeiten einerseits und selektiven, je spezifischen betrieblichen Anwendungen und Folgewirkungen andererseits geprägt ist.

Bildbeschreibung: Bürosauna

Dieses weite Spannungsfeld messen die aktuellen SOFI-Analysen zu »Digitalisierung und Arbeit« aus. Sie liegen nun als Zwischenbilanz – mit Beiträgen von Birgit Apitzsch, Volker Baethge-Kinsky, Klaus-Peter Buss, Kristin Carls, Ronny Ehlen, Michael Faust, Hinrich Gehrken, Martin Kuhlmann, Stefan Rüb, Caroline Ruiner, Lena Schulz, Barbara Splett, Lukas Thamm, Knut Tullius, Eva-Maria Walker, Marliese Weißmann, Maximiliane Wilkesmann und Harald Wolf – auch in Buchform vor. Das Buch ist 2021 im Campus Verlag erschienen:

Digitalisierung und Arbeit, ein Buch von Klaus-Peter Buss, Martin Kuhlmann, Marliese Weißmann, Harald Wolf, Birgit Apitzsch – Campus Verlag
Buss, Klaus-Peter; Kuhlmann, Martin; Weißmann, Marliese; Wolf, Harald; Apitzsch, Birgit (Hrsg.) (2021): Digitalisierung und Arbeit. Triebkräfte – Arbeitsfolgen – Regulierung, Frankfurt/New York: Campus.

 

Weitere Materialien zum Download:

  • DIGITALISIERUNG IM MASCHINENBAU:
    Kuhlmann, Martin; Voskamp, Ulrich (2019): Digitalisierung und Arbeit im niedersächsischen Maschinenbau. SOFI Arbeitspapier 15, Göttingen.

  • TECHNIK UND ARBEIT IN DER ARBEITSSOZIOLOGIE: Baethge-Kinsky, Volker; Kuhlmann, Martin; Tullius, Knut (2018): Technik und ArbBaethge-Kinsky, Volker; Kuhlmann, Martin; Tullius, Knut (2018): Technik und Arbeit in der Arbeitssoziologie – Konzepte für die Analyse des Zusammenhangs von Digitalisierung und Arbeit. In: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, Jahrgang 11, Heft 2, Oktober 2018, S. 91-106.

Kontakt

Name: Dr. Martin Kuhlmann, Dr. Jennifer Villarama
Telefon: 0551/52205-0
E-Mail: martin.kuhlmann@sofi.uni-goettingen.de; jennifer.villarama@sofi.uni-goettingen.de
Webseite: http://www.sofi.uni-goettingen.de/